Zukunftsvisionen der Fensterbranche

Woche: 
14
Jahr: 
2019
Rubrik: 
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Fachtagung.  Neue Impulse, spannende Referate und interessante Gespräche. An den Windays in Biel hielten die 355 Vertreter der Fenster- und Fassadenbranche, was sie versprochen hatten – und dies eingebettet in eine grosse Fachausstellung.

Innovation werde in Biel grossgeschrieben, erklärte Stadtpräsident Erich Fehr vergangenen Donnerstag in seiner Grussbotschaft zur Eröffnung der zweitägigen Windays im Bieler Kongresszentrum. Die Berner Fachhochschule (BFH) als Organisatorin des Anlasses passe deshalb bestens in die Stadt im Berner Seeland.

Kleine Schritte reichen nicht

Der erste Themenblock stand unter dem Motto «Markt – Trends – Perspektiven». Roger Nordmann, Nationalrat, Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie, machte sich Gedanken über die Energiestrategie 2050 und ihre Bedeutung für die Fenster- und Fassadenbranche. Er fand klare Worte: «Kleine Schritte reichen nicht mehr aus.» Es sei an der Zeit, alle Mittel zu nutzen, um die Gebäude zu dekarbonisieren, also kohlenstoffhaltige durch erneuerbare Energieträger zu ersetzen. Im Bezug auf die Fassadenbranche sprach er dabei insbesondere die Solarenergie an. Die riesigen Fassadenflächen seien geradezu prädestiniert für die Montage von Fotovoltaikanlagen. Denn heutzutage, da optisch sehr ansprechende Lösungen möglich seien, eröffne sich dem Fassadenbauer ein spannendes erweitertes Geschäftsfeld.

«Es hat noch Platz», so die Aussage von Karin Hollenstein, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Raum- und Landschaftsentwicklung an der ETH Zürich, in Bezug auf die Nutzungsreserven in den Bauzonen der Schweiz.

In Zukunft werde sich «das Bauen auf der grünen Wiese» aber noch viel stärker als bis anhin in Richtung einer Transformation des Bestandes entwickeln. Dies unter anderem durch das Aufstocken bestehender Gebäude oder Anbauten, durch verdichtetes Bauen und durch das Schliessen von Baulücken innerhalb bestehender Siedlungen.

Verlagerung von Eigentum zu Miete

Birgit Neubauer-Letsch untermauerte die Aussagen ihrer Vorrednerin mit aktuellen Zahlen bezüglich der Bautätigkeit. Die Leiterin des Kompetenzbereichs Management und Marktforschung der BFH berichtet von einer rückläufigen Entwicklung beim Neubau von Einfamilienhäusern.

Die Anzahl bewilligter Mehrfamilienhäuser ist dagegen weiterhin auf hohem Niveau und auch bei den An- und Umbauten seien die Signale positiv. Zu erkennen ist eine drastische Verlagerung vom Eigentum hin zur Miete.

Im zweiten Teil der Veranstaltung wurde das Fenster neu gedacht. Peter Schober, Abteilungsleiter Bautechnik und Fachbereichsleiter Fenster der Holzforschung Austria präsentierte innovative Konstruktionen mit Vakuumglas. Die Vakuumglastechnologie bietet dank schlankerem Aufbau, geringerem Gewicht und guten thermischen Eigenschaften die Chance für neue Öffnungs- und Bewegungsrichtungen. Diese können, wie der Referent aufzeigte, von Mechanismen völlig anderer Sparten geprägt sein, wie beispielsweise einer Bustür oder einem klassischen Autofenster.

Smarte Lösung für den Schallschutz

Christoph Rellstab, Leiter Höhere Fachschule Holz der BFH, gab Auskunft über das Forschungsprojekt «Autowindow», das vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) bei der BFH in Auftrag gegeben worden war. Er präsentierte einen Fenster-Prototypen, der dank dem Einsatz eines neu entwickelten Beschlags über automatisierte Bewegungsfunktionen, Ver- und Entriegelung verfügt und dies bei gleichzeitiger Optimierung der Rahmenquerschnitte. Auf diese Weise wird das für den Schallschutzbereich konzipierte Fenster smarthomefähig und ermöglicht ein Fensterdesign, das aus Sicht der BFH mit der heutigen «Beschlagsnormierung» nicht möglich gewesen wäre.

Unter dem Titel «Smarte Fenster – auch in der Fertigung» wies Urs Uehlinger, Leiter Kompetenzbereich Fenster, Türen und Fassaden der BFH, auf die wesentlichen Eckpunkte zur effizienten Produktion des oben erwähnten Prototyps hin. Insbesondere auf die stark reduzierte Anzahl verschiedener Beschlagteile, womit nicht nur die Fertigung, sondern auch die Logistik und der Service vereinfacht werden. Die daraus resultierende Zeit- und Kostenersparnis soll die erhebliche Preisdifferenz zwischen dem automatisierten Beschlag und dem heutigen Drehkippbeschlag bis zu einem gewissen Grad ausgleichen, sodass sich die Mehrkosten des neuen Fensters inklusive Montage in Grenzen halten.

Der Zeitpunkt ist genau jetzt

«Die digitale Zukunft der Fensterbranche vorauszusagen, ist für mich wie ein Blick in die Glaskugel», gesteht Rolf Baumann, Leiter des Instituts für digitale Bau- und Holzwirtschaft der BFH. «Schaue ich hinein, so steht alles Kopf.» Dies entspreche vielleicht tatsächlich der Zukunft der Branche. Eines könne er aber mit Sicherheit sagen: Die Digitalisierung sei unumgänglich und wer in seinem Betrieb diesbezüglich noch keine Massnahmen ergriffen habe, für den sei der richtige Zeitpunkt «genau jetzt».

In Modulen denken

Eng mit der Digitalisierung verknüpft ist die Rationalisierung. Ein Zukunftsmodell zeigte Roman Hausammann vom Kompetenzbereich Holzbau, Bauen im Bestand und Denkmalpflege der BFH mit «dem schnellsten Mehrfamilienhaus der Schweiz» auf. Der Hochleistungs-Hybridbau, welcher aktuell im aargauischen Lenzburg errichtet wird, besteht aus einem Stahltragwerk, in welches die vorgefertigten Raummodule auf der Baustelle eingefügt werden. In der Fertigung kompletter Systemkomponenten mit Fenster, Aussenlaibung, Store, sowie Storenkasten und Motor, eingebettet in einen umlaufenden Rahmen aus Holzwerkstoffplatten, sieht der Experte die Chance für den Fensterbauer zur Steigerung seiner Wertschöpfung.

In die gleiche Richtung ging das Referat «Rationalisierungspotenziale in der Baubranche – der modulare Hausbau» von Stefan Zetzmann. Der Bereichsleiter der Unternehmensberatung TCW Transfer-Centrum in München (D) betonte die Effizienz eines industrialisierten Hausbaus, bei welchem die einzelnen Module nach dem Baukastenprinzip gefertigt und bedarfsgerecht zusammengefügt werden.

Passende Lösungen herausfischen

«Die Vernetzung ist noch nirgends», stellt Rolf Baumann von der BFH an der Podiumsdiskussion nüchtern fest und fügt mit einem Lachen an: «Die gute Nachricht ist, die Landwirtschaft, die Jagd und die Fischerei sind noch hinter uns.» Für die komplette Vernetzung der Branche sieht er eine frei zugängliche Cloudlösung.

Mit der Frage, wer bei der Realisierung der Vernetzung konkret gefordert sei, traf Podiumsleiter Patrik Ettlin, Bereichsleiter Marketing und Kommunikation beim VSSM, den Kern des Problems. Die Antwortpalette reichte von den Verbänden über die Hochschulen bis hin zum Staat.

Stefan Zetzmann vom TCW Transfer-Centrum sieht auch «die grossen Player der Branche» in der Pflicht. «Sie haben die Macht, etwas durchzudrücken.»

Für Max Renggli, CEO und Verwaltungsratspräsident der Renggli AG in Sursee LU ist nicht die Grösse eines Betriebes entscheidend, sondern dessen Stärke. «Die Herausforderung ist eine andere», sagt er. «Richtig vernetztes Denken, wirklich fertig gedachte Lösungen, gibt es nur beschränkt. Es braucht eine Mannschaft, die sich digital orientiert.» Das sieht auch Markus Stebler, Präsident Schweizerische Zentrale Fenster und Fassaden SZFF so: «Wir brauchen Mitarbeiter, welche die Technik des Bauens verstehen, gleichzeitig aber auch den Mehrwert der Digitalisierung für sich und die Firma erkennen.»

«In der Produktion haben viele Betriebe ihre Hausaufgaben gemacht und die Verbesserungsmöglichkeiten sind im chirurgischen Bereich», findet Adrian Schlumpf, Mitglied der Geschäftsleitung Swisswindows AG in Mörschwil SG. Bei der Logistik könne das Potenzial aber noch mit dem Schöpflöffel geschöpft werden. Es besteht noch Handlungsbedarf. Denn, wie Schlumpf betont, die Branche möchte «nicht von der Fischzucht überholt werden».

Nachbericht auf der Internetseite

Der zweite Tag der Windays war in zwei Themenblöcke gegliedert. Der erste Block stand unter dem Titel «Glas Plus» und widmete sich neben dem Glas auch Themen wie der Schalldämmung oder dem thermo-mechanischen Verhalten der Fenster.

Im zweiten Block «Aus der Praxis, für die Praxis» standen Einbruchschutz, Sicherheit und Schadensfragen im Fokus.

Eine Nachberichterstattung der Windays ist ab morgen auf der Internetseite der BFH nachzulesen.

www.windays.ch

mh

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