Meinungen zum vertragslosen Zustand

Die Verhandlungen für einen neuen GAV sind gescheitert. Das von den Gewerkschaften vorgeschlagene Vorruhestandsmodell fand in der Schreinerbranche keinen Anklang, was letztlich für den Bruch ausschlaggebend war. Auf der Suche nach Kommentaren, Meinungen und Erklärungen...

Der vertragslose Zustand in der Schreinerbranche hat weitreichende Konsequenzen. So fehlen ab 1. Januar 2021 nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch die Regelwerke, um arbeitsrechtliche Mindeststandards gemäss den aktuell gültigen Gesamtarbeitsverträgen durchzusetzen. 

 

Jack Breitenmoser, Inhaber und Geschäftsführer Peter Baumgartner Schreinermontagen AG, Gossau SG, Präsident der VSSM-Fachgruppe Montage:
«Alle Unternehmen aus dem EU-Raum können und dürfen nun in der Schweiz arbeiten, ohne sich an die jeweiligen Schweizer Mindestlöhne zu halten. Das ist faktisch Lohndumping. Genau das nehmen die Gewerkschaften mit dem provozierten vertragslosen Zustand in Kauf, obwohl sie sich ständig für den Lohnschutz der Schweizer Arbeitnehmer im Rahmenabkommen mit der EU stark machen. Dieses Verhalten ist für mich widersprüchlich und asozial.» 

 

 

Ruedi Schütz, Servicemonteur, KLS Müller AG, Wallisellen ZH: 
«Wenn es keinen GAV mehr gibt, ist das besonders schlecht für jene, die ihre Arbeitsstelle nicht so leicht wechseln können. Wer es sich nicht leisten kann seinen Job zu verlieren, der traut sich nicht, sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen zu wehren. In den meisten Unternehmen wird sich mit dem vertragslosen Zustand wohl nichts ändern. Aber es gibt immer wieder schwarze Schafe unter den Arbeitgebern. Mich persönlich betrifft dieses Thema nicht mehr so sehr, da ich in einem Jahr bereits pensioniert werde.»

 

 

 

 

Renato Scerpella, Geschäftsführer der Scerpella Tullio SA, Giubiasco TI, Präsident der VSSM-Sektion Tessin:
«Die Gewerkschaften haben versucht, der Schreinerbranche ein Vorruhestandsmodell aufzuzwingen, das die Mehrheit der Arbeitnehmer und Arbeitgeber in dieser Form nicht wollen. Dass dies zu einem vertragslosen Zustand geführt hat, ist eine Ohrfeige für alle Schreiner und ein Affront gegenüber denjenigen, die sich für die Branche und für gute Bedingungen einsetzen sowie ihre Arbeit gerne und gut ausführen.» 

 

Soraya Minder, Schreinerin, Gehri AG, Aarberg BE:
«Meiner Meinung nach haben die Gewerkschaften einen grossen Fehler gemacht. Mit diesem vertragslosen Zustand gibt es keine Richtlinien mehr bezüglich des Mindestlohns. Arbeitgeber und Arbeitnehmer können so nicht mehr auf diesen Mindestrichtwerten bestehen, da es sie schlichtweg nicht mehr gibt. Das kann so nicht bleiben. Es muss eine Lösung geben.»

 

 
 
 
 

 

 

Christoph Rellstab, Leiter Höhere Fachschule Holz Biel, Co-Präsident Schweizerischer Fachverband Fenster- und Fassadenbranche FFF:
«Der ab 1. Januar 2021 herrschende, vertragslose Zustand in der Schreinerbranche führt auch dazu, dass viele junge, motivierte Schreinerinnen und Schreiner, welche ihre Zukunft in unserer Branche sehen und sich darum in einem Studium weitere Kompetenzen erarbeiten, budgetierte Unterstützungsbeiträge der ZPK nicht erhalten werden. Das ist für mich unverständlich und führt mit Sicherheit nicht dazu, dass wir in Zukunft mehr Fachkräfte haben werden. Statt den Fachkräftemangel anzugehen, wird er noch verschärft! Gerade in diesen besonderen Zeiten wäre ein positives Signal für die Branche doch wichtig!» 

 

Werner Füllemann, Geschäftsführer der Müller Fenster AG, Frauenfeld TG, Mitglied der GAV-Kommission:
«Die Tatsache, dass ab 1. Januar 2021 ein vertragsloser Zustand eintritt, enttäuscht mich sehr! Das Engagement seitens der Arbeitgeber im Zusammenhang mit dem neuen GAV, aber auch für das Vorruhestandsmodell war gross und gipfelte im enormen Zuspruch der «Schreinerfamilie» für den neuen GAV. Meine Befürchtung, dass jene Kantone welche direkt ans benachbarte Ausland grenzen, den vertragslosen Zustand schnell und nachhaltig zu spüren bekommen könnten, ist gross. Dieses bittere «Sahnehäubchen» muss von den Betrieben nun geschluckt werden (können…). Ebenfalls gross ist aber auf der anderen Seite meine Hoffnung, dass diese zukünftigen Erfahrungen, eine rasche Basis für die kommenden Gespräche mit den Sozialpartnern bilden könnten.»»