Herr der Lüfte

Woche: 
48
Jahr: 
2018
Rubrik: 
Persönlich

Langsam füllt sich die Turnhalle. Routiniert rollen Kinder in bunten Trikots die Trainingsmatten aus, stellen Barren und Sprungböcke auf. Am Mittwochabend werden jeweils beide Hallen in Kleindöttingen AG genutzt. 60 Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 22 Jahren üben sich hier in Handstand und Salto. Dominik Ernst, kurze Haare und dichter, langer Bart, steht inmitten der Kinderschar. Seit zwei Jahren ist der 27-Jährige einer der Hauptleiter der Kunstturngruppe. Damit ist er nicht nur verantwortlich für das Training seiner Zöglinge, sondern auch für die Organisation des Vereins. Vier Abende in der Woche, sonntagnachmittags und zu samstäglichen Anlässen, steht der gelernte Schreiner auf der Matte. 32 Shows waren es im letzten Jahr. «Ich tue das, weil das jemand auch für mich getan hat, als ich klein war», begründet er sein enormes Engagement. Als er mit seinem grossen Bruder das erste Mal in der Halle gestanden habe, sei er noch keine fünf Jahre alt gewesen. Ein guter Turner braucht Körperbeherrschung, Kraft, Beweglichkeit und Mut. Die Elemente seien schon waghalsig, sagt Ernst. In fünf Metern Höhe einen Doppelsalto zu machen, kostet Überwindung. Will man Erfolg haben, so braucht es echten Durchhaltewillen. Seit zwei Jahren übt Ernst nun schon am geschraubten Doppelsalto und zeigt die Übung auf dem Trampolin gleich vor: Das Kinn auf der Brust, die Arme verschränkt, stösst er sich vom Trampolin ab, gewinnt an Höhe, dreht sich um 450 Grad, fällt und – landet auf dem Rücken. Das Schwierige sei, die Orientierung nicht zu verlieren, erklärt er noch etwas ausser Atem. «Oft braucht es tausend Wiederholungen, bis es klappt.» Wenn der Turner sein Können vor Publikum zeigt, dann klappt es aber fast immer.

Mit der Gruppe «Wallscrapers» – den zehn mutigsten Mitgliedern des Turnvereins – geht Ernst buchstäblich die Wand hoch. Die «Trampolinisten» lassen sich von Gerüsten rückwärts auf die Trampolins fallen, drehen in hohem Tempo Salti und Schrauben und zeigen eine flinke Show. Mit dieser klassierten sie sich bei der dritten Staffel des Fernsehformats «Die grössten Schweizer Talente» auf dem zweiten Rang. Seither tourt die Gruppe durch das ganze Land. Zu einem solchen Erfolg führen kleine Schritte, die in der Turnhalle gemacht werden. Die Kinder, die über die Matten springen und auf einem Bein stehend das Gleichgewicht zu halten versuchen, sind der Nachwuchs des Turnvereins und vielleicht auch der «Wallscrapers». In den letzten Jahren haben die Turnerinnen und Turner des Vereins an den Wettkämpfen laufend höhere Ränge erzielt. «Selber etwas zu erreichen, macht mir viel Freude», sagt Ernst kurz bevor das Training mit seinen Eleven beginnt. Aber genauso schön sei es für ihn, wenn seinen Schülern ein neues Element gelinge.

Der Schreiner hat nach seiner Lehre noch ein Informatikstudium gemacht und entwickelt heute Applikationen. Trotzdem hängen im Kleiderschrank immer noch weit mehr Trikots und Shorts als Businessanzüge.

«Ich tue das, weil das jemand auch für mich getan hat, als ich klein war.»

ho

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