Ein Wechsel als Chance

Woche: 
18
Jahr: 
2019
Rubrik: 
Standby

Lehrstellenwechsel. Ein Wechsel des Betriebes während der Lehrzeit ist eine Herausforderung. Erhalten die Lernenden dabei die nötige Unterstützung, kann sich die Mühe aber durchaus auszahlen.

Jasmine Hämmerli kämpfte für den Traum, Schreinerin zu lernen. Im dritten Lehrjahr schloss ihr Lehrbetrieb unerwartet.

Sie hatte Glück im Unglück: Ihr Vorgesetzter unterstützte sie dabei, eine neue Lehrstelle zu finden. «Es war sehr überraschend, als der Chef uns letzten Herbst mitteilte, dass die Schreinerei schliessen werde», sagt Hämmerli. Für sie hatte sich Ende der Schulzeit der Wunsch herauskristallisiert, Schreinerin zu lernen. «Ich wollte unbedingt etwas Handwerkliches machen, denn ich bin kein Büromensch.» An der Rudolf Steiner Schule gefiel ihr, dass der Werkunterricht gefördert wurde. In der achten Klasse baute sie mit ihren Schulkameradinnen und -kameraden eine Kulisse zum Theaterstück «Cyrano de Bergerac», das sie auch selber aufführten. «Es gab fünf Akte, für die wir je ein Bühnenbild entwarfen. Wir bauten unter anderem eine Drehbühne sowie einen Balkon, auf dem jemand sitzen konnte. Das hat mich sehr inspiriert.»

Ende und Neuanfang

Die Suche nach einer Lehrstelle war jedoch alles andere als einfach. Hämmerli schnupperte und bewarb sich in zahlreichen Betrieben am linken Zürichseeufer, wo sie zu Hause ist. Doch die meisten Schreinereien stellten zu jenem Zeitpunkt keine Lernenden an. «Ich erhielt viele Absagen und fiel in ein Loch.» Ihre Eltern ermunterten sie, weiter zu suchen. Schliesslich erhielt sie bei der A. Steiner Zimmerei & Schreinerei in Schwamendingen ZH eine Zusage – einem seit über 70 Jahren geführten Familienbetrieb mit 20 Angestellten. «Der Anfang der Lehre war happig», sagt die 19-Jährige rückblickend. Alles war neu: das Team, die vielen Maschinen, die neuen Arbeiten. «Ich wurde aber gut unterstützt, und die Ausbildung machte mir Spass.»

Ihr war von Anfang an klar, dass sie möglicherweise eine der letzten Lernenden im Betrieb sein würde, denn der Inhaber war im Pensionsalter. «Ich begleitete über 100 Lernende als Zimmerleute und Schreiner bis zum Lehrabschluss. Und ich machte dies immer gerne», erzählt Romeo Steiner, Berufsbildner und Inhaber des Unternehmens. Weil der Betrieb über längere Zeit einen ungenügenden Ertrag erzielte, entschloss er sich im Herbst 2018, seinen Betrieb zu schliessen. «Zuerst war ich natürlich traurig», erzählt Hämmerli, «im zweiten Moment sah ich aber auch eine Chance, noch etwas Neues kennenzulernen.» Der Zufall wollte es, dass Steiners Cousin, der eine Schreinerei in Thalwil ZH führt, bereit war, sie als Lernende einzustellen. «Wir wollen den jungen Leuten eine Zukunftsperspektive bieten», sagt Dominik Schökle, Berufsbildner in der Schreinerei Kuster in Thalwil.

Mit neuen Aufgaben konfrontiert

Hämmerli hatte doppelt Glück: Nicht nur ihr Arbeitsweg war nach dem Wechsel kürzer, sie konnte auch in der gleichen Berufsschule bleiben. «Darüber bin ich froh, denn wir haben sehr gute und unterstützende Lehrer sowie ein tolles, ausserschulisches Programm.» Im neuen Betrieb ist die Lernende allerdings gefordert. Sie wird mit neuen Aufgaben und Vorgehensweisen konfrontiert. «Jasmine war es sich nicht gewohnt, Aufträge von A bis Z auszuführen. Diese Lücke muss sie noch schliessen», erklärt ihr Ausbildner. Er führt sie an neue Arbeiten heran, lässt sie aber auch selber Neues ausprobieren. Sie soll an den Herausforderungen wachsen und für die Zukunft gewappnet sein. «Ich fordere viel von den Lernenden. Denn ich will ihnen eine gute Ausbildung ermöglichen.»

Hämmerli ist im neuen Betrieb gut angekommen. «Das Arbeitsklima ist sehr angenehm. Ich wurde offen aufgenommen und sofort mit einbezogen.» Im Moment lernt sie intensiv für die Teilprüfung. Ihr Ziel ist es, zuerst einmal die Lehrabschlussprüfung zu bestehen. Später möchte sie bei einer Firma arbeiten, die Bühnenbilder baut.

Das Wesentliche nicht gelernt

Wenn Jan Schweizer an seine ersten beiden Lehrjahre zurückdenkt, bereut er vor allem eines – dass er den Betrieb nicht früher gewechselt hat. Während er von seinen Erfahrungen in dieser Schreinerei erzählt, nennt er kein einziges Mal deren Namen.

«In meinem ersten Lehrbetrieb arbeitete man ‹larifari› und gab nicht Vollgas», sagt Schweizer. Mitarbeitende und Lernende verstanden sich zwar gut und hatten Spass. «Aber es war schwierig mit den Chefs», sagt Schweizer. Einer davon war sein Ausbildner. «Ich kam mit ihm nicht klar, er brachte mir das Wesentliche nicht bei.»

Im Geschäft musste der Lernende einfache Fleissarbeiten erledigen: Türen grundieren und Kanten verputzen. Auf der Baustelle setzte man ihn als Handlanger ein. Und es kam sogar vor, dass er während der Arbeitszeit Wahlplakate aufhängen musste. «Ich konnte kein einziges Mal einen Auftrag von A bis Z ausführen.»

Das Mass war voll

Schweizers Mutter forderte die Verantwortlichen mehrmals auf, ihre Ausbildungspflicht wahrzunehmen. Der Erfolg blieb jedoch aus. Schweizer verlor mehr und mehr die Motivation – auch in der Schule.

«Ich konnte das, was ich lernte, gar nicht anwenden», sagt er. Er ging mit stetig grösserem Widerwillen zur Arbeit. Letzten Sommer war das Mass dann übervoll. Ferien lagen keine drin. «Ich musste auf der Baustelle am Laufmeter Türen montieren. Ich konnte aber keine selber machen.»

Der Einsatz wurde belohnt

Der 18-Jährige übernahm Verantwortung für sich und seine Ausbildung. Auf eigene Faust begann er, eine neue Lehrstelle zu suchen. «Ich spielte damals schon seit über einem Jahr mit diesem Gedanken. Aber ich wollte zuerst meine Noten verbessern.»

Sein Einsatz wurde belohnt. Er konnte seine Lehre in einem anderen Betrieb, der Sigrist Rafz Holz + Bau AG in Rafz ZH, fortsetzen. «Es fiel eine grosse Last von mir», erinnert sich Schweizer.

Lücken schliessen

«Jan hat eine zweite Chance verdient», betont Edwin Demuth, der neue Berufsbildner des Lernenden. Es muss nun vieles mit ihm aus den ersten beiden Lehrjahren aufgeholt werden. «Das ist natürlich herausfordernd und braucht Zeit und Geduld», sagt Demuth. Schweizer lernt neue Maschinen und Arbeitsabläufe kennen. Nun kann er endlich auch ganze Aufträge erledigen. «Ich muss viele Lücken schliessen und oft nachfragen, auch wenn mir das manchmal unangenehm ist», sagt er.

In der Krise wollte er die Lehre manchmal einfach abbrechen. Heute ist er froh, dass er es nicht getan hat und die Ausbildung in einem anderen Betrieb fortsetzen kann.

www.kusterschreiner.chwww.sigrist-rafz.ch

fh

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