«Suchen Sie einen alten Schreiner», fragt ein Mann mit einem langen weissen Bart und ebenso langen weissen Haaren, während er den Kopf aus einer Tür streckt. Wäre man in den Alpen und nicht im Kanton Aargau, könnte man Gusti Bachmann glatt für die Wiedergeburt des Alpöhis halten. Ein Einsiedler ist er aber ganz und gar nicht. Der 72-Jährige fühlt sich am wohlsten unter Menschen: Etwa indem er am Stammtisch in der Dorfbeiz über Hinz und Kunz schwatzt oder in seinem Atelier bis tief in die Nacht mit spontan eintrudelnden Gästen über Gott und die Welt sinniert und bechert: einen Strohrum, einen Kirsch oder einen Rotwein à la Gusti – also Wein aus dem Tetrapack, das unter seinem Schreibtisch montiert ist. «Ich muss ja nicht ein Filet essen, wenn ich Cervelats mag», erklärt Bachmann und drückt am Verschluss, um sich ein Glas einzuschenken. Die Sprüche purzeln ihm locker aus dem Bart. «Ich bin der Gusti. Ich bin ein Original. Mich kennt jeder, nur ich kenne nicht jeden.» Seine Einfälle verschenkt er auch in Form von Mitbringseln. Auf einem Schokoladetäfelchen hat er jeden Buchstaben seines Namens aufgedruckt und mit einem Adjektiv gleichgesetzt: G steht für genial, u für umgänglich, s für Supertyp, t für treuherzig, i für ideal. Als Visitenkarte händigt er seiner Kundschaft eine Zündholzschachtel mit aufgedruckter Adresse aus.
Seine neusten Erfindungen sind ein Blumenübertopf sowie eine Kleenex- und eine Weinbox aus Parkett. Mit diesen überrascht er jeden, der bei ihm eine geschreinerte Treppe bestellt. «In meiner Schreinerwerkstatt darf man auf keinen Fall fotografieren. Schauen Sie dieses Puff. Ich bin ein elender Chaot.»
Seine überbordende Fantasie setzte er auch in grösserem Massstab um. In jungen Jahren baute er nach Feierabend aus einem Lieferwagen ein Wohnmobil. Nach 3500 Stunden Arbeit stand das Gefährt aus Holz und Aluminium für Ferien mit seiner Familie bereit.
«Damals war ich noch jung und dynamisch», sagt Bachmann und zeigt in einem Fotoalbum aus dem Jahr 1983 auf den jungen Gusti mit Bart. Auch später experimentierte er mit speziellen Vehikeln. Eine dreirädrige Vespa erweiterte er zu einer fahrbaren Musikbeiz. Innerhalb von fünf Minuten liess sich der Aufbau zu einer 2 × 1,5 Meter grossen Bühne und zu fünf Tischen mit Bänken für dreissig Personen aufklappen. Während die Gäste etwas tranken, trat Bachmann mit seinem Keyboard und der «Schnorregige» – der Mundharmonika – auf und sang Evergreens. Als Schreiner war er ebenfalls während acht Jahren auf Rädern unterwegs. In einem Sattelschlepper betrieb er eine fahrbare Schreinerei, mit der er vor Ort alle Arbeiten erledigen konnte. «Mir reichen sechs Stunden Schlaf.» Nebst seiner Arbeit blieb ihm deshalb genug Zeit, um während zehn Jahren die Tägeriger Dorfzeitung herauszugeben. «Ich konnte nicht schreiben. Das war auch nicht nötig. Ich kupferte die Texte aus dem ‹Reussboten› ab», verrät er.
Zusammen mit seiner Frau fertigte er alle zwei Monate am Wohnzimmertisch 500 Exemplare von Hand an – mit Schere, Leim, Kopiergerät und Hefter. Dank dem umtriebigen Schreiner lebte in Tägerig ausserdem eine alte Tradition wieder auf: Er half dem Diakon, 40 Nyffelen (Laternen) anzufertigen für einen Adventsumzug mit Schulkindern. Auch dies ist bereits wieder passé. «Bei allem ist irgendwann der Reiz vorbei. Ich mache deshalb immer etwas Neues.» Sein nächstes Vorhaben steht schon fest: «Ich will aus Parkett einen Fussball basteln. Mein Sohn ist ein Mathematikgenie. Er muss mir ausrechnen, wie die Winkel sein müssen, damit der Ball rollen kann.»
«Bei allem ist irgendwann der Reiz vorbei. Ich mache deshalb immer etwas Neues.»